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Nachhaltigkeit – 22.10.2014, 12:51 Uhr

5. Media Mundo-Kongress - Das Ende der Erbsenzähler

Der 5. Media Mundo-Kongress für nachhaltige Medienproduktion gibt unter dem Titel „rethink sustainability“ handfeste ökonomische Impulse für ökologische und soziale Handlungsweisen.
„Wir wollen wissen, wo die guten Vorbilder in der Druckindustrie und in der Medienproduktion sind, die Vordenker, an denen wir uns orientieren können. Und wir wollen wissen, was wir tun müssen, um von ihnen zu lernen“.

Der Fachkongress, eine Initiative des f:mp., findet am 17. und 18. November 2014 in Düsseldorf, im idyllischen Rheinhotel Vier Jahreszeiten, statt. Am 17. November gibt es eine Diskussions- und Expertenrunde. Hier werden die wichtigsten Kongressthemen im Rahmen eines Impulsvortrags vorgestellt und anschließend kritisch diskutiert. Am 18. November stellen Experten aus Wissenschaft, Umweltverbänden und Industrie in vielen hochinformativen Vorträgen mögliche Szenarien der nahen Zukunft sowie probate Lösungsansätze aus der Praxis vor.

Für den Kongress konnten wieder zahlreiche Experten rund um das Thema Nachhaltigkeit verpflichtet werden – neben Dr. Daniel Dahm, Club of Rome mit der Keynote: Spannungsfeld Global Overshoot werden Peter Jeschke, GC Graphic Consult GmbH, Dannie Quilitzsch, Beratung für Nachhaltigkeit & Kommunikation, Michael Müller, IPM Müller und Resing GmbH, Dr. Achim Schorb, ifeu-Institut und weitere Experten aus der Praxis referieren.

Im Vorfeld des Kongresses haben wir mit Dannie Quilitzsch, Dr. Daniel Dahm, Hardy Nitsche und Alexander Rossner folgendes Interview geführt:

Das Ende der Erbsenzähler

Dannie Quilitzsch, Dr. Daniel Dahm, Hardy Nitsche und Alexander Rossner sind sich einig: Es ist Zeit, besser zu sein, anstatt nur weniger schlecht. Media Mundo im Gespräch mit vier Vordenkern nachhaltiger Entwicklung. Mehr von ihnen auf dem 5. Media Mundo-Kongress am 17./18.11.2014 in Düsseldorf.

Media Mundo: „Daniel, was sind die großen Themen der kommenden zehn Jahre?“

Daniel Dahm: „Die kommenden zehn Jahre werden mit etwas Glück das Zeitalter des Umdenkens markieren. Mit etwas Glück werden wir Menschen uns darauf besinnen, dass wir emphatisch sind und friedlich in Würde miteinander leben wollen. Das könnte zu einem weltweiten Wandel zum Guten führen und ja, das ist ein großes Thema, weil es vor allem in der Wirtschaft zu dramatischen Veränderungen führen wird, denn dieser Prozess wird schnell ablaufen und das bedeutet, dass dabei einige auf der Strecke bleiben werden, denen die Geschwindigkeit zu hoch ist.“

Media Mundo: „Alexander, gibt es dafür Anzeichen?“

Alexander Rossner: „Unbedingt, Daniel ist zuzustimmen: Die Menschen sind es leid, nur zu funktionieren. Insbesondere in der westlichen Welt gibt es das zunehmende Phänomen, dass wir immer mehr materiellen Besitz haben und immer weniger zufrieden oder gar glücklich sind. Das geht nicht mehr lange gut so. Wie kommt es, dass wir immer weniger Zeit haben, um uns um unsere Familien oder um uns selbst zu kümmern? Was macht uns reich? Ist es wirklich mehr Geld, das uns glücklich macht? Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird durch unser wirtschaftliches System nicht zufriedenstellend beantwortet. Das kann nicht mehr lange gut gehen.“

Media Mundo: „Dannie, wo sind die Vorbilder für ein Umdenken in diesem Sinne?“

Dannie Quilitzsch: „Schönerweise entstehen aktuell an sehr vielen Stellen in den unterschiedlichsten Bereichen immer mehr neue Denk- und Handlungsmodelle, sei es in ökologischer Hinsicht, in ökonomischer, sozialer oder kultureller. Die Menschen, die wollen, dass sich etwas ändert, verlassen sich nicht mehr auf die Politik oder die Wirtschaft, sondern übernehmen selbst das Ruder. Es ist großartig zu sehen, wieviele gute Initiativen, neue Formen von Organisationen und soziale Unternehmungen entstehen, die mit gutem Beispiel vorangehen und dadurch anderen Mut zum Wandel machen oder andere sogar ein klein wenig in Zugzwang bringen.”

Media Mundo: „Hardy, kannst Du das so nachvollziehen oder gar bestätigen?“

Hardy Nitsche: „Absolut, das merken wir auch. Bis vor kurzem verband man mit Nachhaltigkeit immer nur das Ziel, weniger schlecht zu sein als andere. Es ging um weniger CO2, weniger Energieverbrauch und weniger Müllaufkommen. Es ging um Prozesse und ISO-Normen. Seien wir ehrlich: Das langweilt die Menschen und inspiriert sie nicht wirklich. Inspirierend ist das Ziel, anderen Menschen Freude zu bereiten, nicht das Ziel, ihnen etwas weniger Schaden zuzufügen. Viele unserer Kunden möchten in der Tat anderen Menschen durch ihre Produkte oder Dienste eine Freude bereiten. Das ist meines Erachtens eine sehr neue und zugleich sehr alte Denkweise, die zwischenzeitlich verschütt ging. Und sie ist natürlich nicht nur gut, sondern, wie man sich vermutlich vorstellen kann, auch erfolgreich. Menschen erkennen instinktiv, welche Unternehmen nach diesem Denkmuster arbeiten und den Menschen einen guten Dienst erweisen. Diese Unternehmen werden fast immer belohnt.“

Media Mundo: „Alexander, wer handelt, steigt, wer zögert, fällt?“

Alexander Rossner: „Ja. Und das ist gut so. Das Versteckspiel, die Erbsenzählerei und die Nachhaltigkeitskonsens-Sauce müssen früher oder später einmal ein Ende finden. Unternehmen, die schlechte Produkte anbieten, also Produkte, die anderen Lebewesen Schaden zufügen, gehören entweder verboten oder vom Markt verdrängt. So einfach, so radikal, so gut und absehbar. Die vier großen Energiedienstleister Deutschlands haben das als erste erfahren müssen. Schlecker auch. Das mag individuell ein schmerzlicher Prozess sein, aber er war längst überfällig. Andere Unternehmen in anderen Industrien werden folgen. Das Gute verdrängt das Schlechte. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die Masse der Menschen mag recht unkritisch sein, aber irgendwann in den letzten 20 Jahren wurde eine Grenze überschritten, die Grenze der Erträglichkeit.“

Media Mundo: „Daniel, in den letzten Jahren wurden mehrere Grenzen überschritten, oder?“

Daniel Dahm: „In der Tat, die letzten vier, fünf Jahrzehnte gehen sicher als die Jahrzehnte der ökologischen und sozialen Grenzüberschreitungen in die Geschichtsbücher ein. Nahezu alle ökologischen und sozialen Systeme sind überbeansprucht und dem Kollaps nahe. Wir können das jeden Tag in den Nachrichten lesen, wir haben unsere Budgets in den letzten Jahren vollständig ausgeschöpft und leben im Verhältnis zur Biokapazität unseres Planeten ebenso wie den meisten Sozialsystemen längst auf Basis einer permanent überzogenen Kreditlinie, um dieses Bild zu gebrauchen. Wären unsere ökologischen und sozialen Systeme insolvenzfähig, hätten sich die Regierungen aller westlichen Staaten längst wegen Insolvenzverschleppung strafbar gemacht.“

Hardy Nitsche: „Das ist richtig und es kommt ja nicht von ungefähr, dass die ökologischen und zugleich auch die politischen Verhältnisse zunehmend durch Krisen bestimmt werden, aus denen weder die unmittelbar beteiligten Regierungen noch die zwischen- und überstaatlichen Einrichtungen einen Ausweg sehen. Nehmen Sie Ebola als Beispiel oder Syrien oder IS oder die Klimakrise oder von mir aus auch Fracking. Diese Krisen stehen nur scheinbar beziehungslos nebeneinander, haben aber natürlich engste Verbindungslinien und Kausalbeziehungen: Das gegenwärtige Konzept der maximalen Auslagerung ökologischer oder sozialer Schäden auf die Gemeinschaft bei gleichzeitiger Maximierung des ökonomischen Vorteils auf einige Wenige hat sich nicht bewährt. Jetzt kann man sich natürlich fragen, „was hat das denn alles mit Nachhaltigkeit zu tun?“, aber das hat natürlich sehr viel mit Nachhaltigkeit zu tun, denn worum geht es denn sonst als um eine gedeihliche Koexistenz aller Menschen?“

Media Mundo: „Dannie, bist Du einverstanden damit, dass wir damit am Ende und damit zugleich am Anfang sind? Ist das der Wendepunkt, auf den wir warten?“

Dannie Quilitzsch: „Ich bin überzeugt davon, dass wir uns schon seit einigen Jahren in diesem Wendepunkt befinden. Für mich ist das ein Prozess. Zunächst gibt es die Vordenker, die Pioniere, die ersten Risikofreudigen, die aus Überzeugung einfach machen, dann gibt es die, die auf den so betitelten “Trend” mit aufspringen, bevor erkannt wird, dass das Ergebnis besser ist als erwartet, und dann irgendwann folgt der Mainstream. Wie bei jeder Veränderung ist eine Krise im Sinne des klassischen Dramas notwendig, um überhaupt einen Prozess zum Wandel anzustoßen. Deswegen nehme ich auch Krisen als positive Ereignisse wahr.

Aus meiner Sicht sollten wir uns mehr für das Gute, das Empathische, stark machen und uns darauf konzentrieren, was uns glücklich macht. Ich kenne niemanden, der nicht danach strebt, glücklicher, zufriedener, gesünder zu sein. In unserer schnelllebigen Gesellschaft haben wir leider nur den Blick dafür verloren, insbesondere im Beruflichen. Wir haben uns viel zu sehr damit abgefunden, dass Moral in bestimmten Bereichen unseres Lebens keine Rolle spielt. Wir müssen wieder selbst die Verantwortung für uns und unser Handeln übernehmen, anstatt die Verantwortung immer an andere abzugeben.

Daniel Dahm: „Das ist ganz sicher ein Wendepunkt in der Geschichte, wobei es an uns liegt, bei diesem Wendepunkt auch eine aktive Rolle zu spielen, denn den physikalisch-biologischen Grenzen ist es gelinde gesagt egal, wie wir uns verhalten, sie sind einfach da. Unveränderlich. Was bedeutet, dass wir uns in unserem Verhalten diesen Grenzen unterordnen und besinnen oder wir werden diesen Grenzen untergeordnet. Und wenn man einen Schritt weiter denkt, dann ist unsere Teilnahmemöglichkeit bei diesem Prozess strukturell sehr beschränkt, denn entweder wir ändern unser Verhalten revolutionär, also schnell und radikal, oder wir ändern unser Verhalten evolutionär, also langsam und behutsam, aber für eine Revolution fehlt uns wohl die kritische Masse und für die Evolution die Zeit, also wird es zumindest einer sehr schnellen Evolution bedürfen, wenn wir bei diesem Prozess überhaupt eine Rolle jenseits der eines typischen Opfers spielen wollen.“

Media Mundo: „Alexander, um die Flughöhe etwas zu verringern, was kann das für die Medienproduktion bedeuten?“

Alexander Rossner: „Nun, das kommt entscheidend darauf an, welches Rollenverständnis die Medienproduktion hat. Was ich sehe, stimmt mich einerseits nicht sonderlich optimistisch, denn die allermeisten Vertreter der klassischen Medienproduktion scheinen sich den sogenannten Marktgesetzen schicksalhaft unterzuordnen, anstatt diese vorgeblichen Marktmechanismen zum Positiven zu verändern. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Im Großen und Ganzen ruht meine Hoffnung auf Veränderung aber nach wie vor auf den Medien, wenn auch auf den sogenannten neuen Medien, die unser Kommunikationsverhalten in den vergangenen 20 Jahren digitalisiert und revolutioniert haben. Nicht immer zum Besseren, aber ganz im Sinne einer Verbreiterung der Informationsbasis und im Sinne einer Beschleunigung bis hin zur Echtzeitübertragung. Würde Gutenberg heute geboren werden, würde er vermutlich bei Google, Twitter oder Facebook arbeiten. Ich persönlich halte die Angst der Printmedien vor den digitalen Medien in den allermeisten Bereichen für absolut berechtigt. Was hat Print in den letzten zehn Jahren zum Wandel beigetragen? Da ginge mehr, finde ich, deutlich mehr. Und ich spreche natürlich nicht von Technik, ich spreche von Inhalten.“

Dannie Quilitzsch: “Da kann ich mich nur anschließen. Die klassischen Medienproduktionen haben sich lange auf ihren Erfolgen ausgeruht und die neuen Medien nicht ernst genommen. Das veränderte Kommunikationsverhalten wird so oft negativ oder gar als Gegner betrachtet, beinhaltet aus meiner Sicht aber unfassbar viel Potential. Auch was die Art oder die Qualität der Inhalte angeht.

Es ist nicht besonders inspirierend, davon zu erzählen, was alles Schlechtes auf der Welt passiert, oder wie es Hardy zu Anfang bereits gesagt hat, dass etwas „weniger schlecht“ ist. Mich persönlich schüchtert das eher ein und hinterlässt ein negatives Gefühl. Die Menschen brauchen positive Vorbilder, inspirierende Geschichten, gute Beispiele. Natürlich darf wie bei einem guten Märchen die Moral in der Geschichte nicht fehlen, aber es geht doch vor Allem darum, die Menschen zu einem positiven Wandel zu motivieren. Aus meiner Sicht wird uns das eher gelingen, wenn wir das Leben der Menschen schöner machen oder eben Geschichten erzählen, über die sie sich erfreuen. Die Massenmedien dienen heute dagegen ja eher als Panikmacher und Schlechte-Nachrichten-Überbringer.

Die Medien brauchen also eine neue gesellschaftliche Verantwortung. Eine, die nicht nur auf Symptome und Ergebnisprotokollierung beschränkt ist, sondern eine Verantwortung, die an den Ursachen arbeitet und für eine positive Entwicklung steht. Das steht sowohl für Themen wie die eigene ökologische Verantwortung als Rohstoff-Verwerter als auch die soziale Verantwortung als Sprachrohr der Gesellschaft.

Media Mundo: „Hardy, bist Du einverstanden mit dieser Forderung?“

Hardy Nitsche: „Im Grunde genommen ja, wobei ich hin- und her gerissen bin, denn einerseits zähle ich mein Unternehmen zu den digitalen Medien, andererseits sehe ich viele Printmedien, die durchaus versuchen, neue Geschäftsmodelle zu etablieren und sich im Sinne unseres Gesprächs zu verbessern. Den großen Wurf habe ich allerdings noch nicht gesehen. Vielleicht kommt der ja aber noch. Ich hielte es schon für einen großen Schritt, wenn in der Nachhaltigkeitskommunikation eine neue Qualität zu verzeichnen wäre: Hin zu einem systematischen Verständnis eines Unternehmens als gesellschaftlich verantwortungsvollem Akteur, der sich in allen Bereichen ständig zu verbessern trachtet, letzten Endes auch deshalb, um wirtschaftlich erfolgreicher zu sein. Dass das geht, ist offensichtlich, aber leider kennen immer noch zu wenige Unternehmer diesen Zusammenhang.

***

Dannie Quilitzsch berät zu Nachhaltigkeit und Kommunikation. Sie lebt in Hamburg. Dr. Daniel Dahm ist Gründer und Geschäftsführer von United Sustainability GmbH, er lebt in Berlin, ebenso Hardy Nitsche, Entrepreneur und Geschäftsführer von 360report GmbH. Alexander Rossner ist Vorstand der Nachhaltigkeitsberatung zukunftswerk eG. Er lebt südlich von München. Alle vier sprechen auf dem 5. Media Mundo-Kongress.

Weitere Informationen: http://www.mediamundo.biz/kongress/kongress2014

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